Keramikkünstlerin
Karen Müller im Gespräch mit Daniel J. Schreiber

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Leidenschaftliche Keramik

Figuren und Schalen aus Porzellan von Karen Müller

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Warum ich mich hier zu Werken von Karen Müller äußern darf, ist eine sehr persönlich Beziehung, eine große Liebe zu den Arbeiten sowie, daraus erwachsend, eine große Wertschätzung der Künstlerin.

Nachdem ich vor Jahren in München in der Galerie für Angewandte Kunst eine Ausstellung mit ihren Arbeiten gesehen hatte, wollte ich unbedingt auch Karen Müller selber kennenlernen; diejenige, die  so etwas macht, machen kann, Porzellan für sich erfindet, die sich solch extreme Aufgaben stellt und sie besteht. Ich habe mich also auf die Suche nach der Begegnung mit einem ungewöhnlichen Menschen gemacht.

Bald schon nach unserer ersten Begegnung hatte ich Glück, Schalen von Karen Müller in eine Ausstellung in Penzberg intergieren zu können. Ganz spontan entschloss sie sich dazu, die Schalen, die eben von einer anderen Ausstellung zurückkamen, zur Verfügung zu stellen. Die Großzügigkeit des neuen Raumes, der sich bietende Platz auf dem frischen Estrich überzeugte uns beide: ohne Sockel wurden die Schalen auf den Boden gestellt. Ein überraschendes Experiment war uns miteinander geglückt.

Auch heute haben wir hier die Gelegenheit, die Porzellanarbeiten in der persönlichen Umgebung der Künstlerin zu erleben. Beinahe so, als ob sie sich noch gar nicht von ihr getrennt hätten – was natürlich so keineswegs zutrifft. Was wir im engeren Sinne als Arbeiten Karen Müllers ansehen sind keramische Objekte: Schalen und Figuren aus Porzellan. Was diese Werke autark macht, ist so real wie symbolisch der Brennprozess, der Feuersturm, den sie überstanden haben; er bezeichnet die Unverfügbarkeit der Werke selbst durch den, der sie verfertigt hat.

Porzellan ist ein wirklich sehr besonderer, eigentümlicher, widersetzlicher Werkstoff. Bis ins Letzte kann man ihn nicht beherrschen. Allein schon der Prozentsatz dessen, was im Brand zerspringt, wie ein Geschoß explodiert und selbst zerstört wird, ist beträchtlich. Viel, sehr viel der Vorbereitungen ist mit keinem direkten Resultat gesegnet.

Der Brennprozess ist destruktiv, er ist eine unberechenbare Selektion. Daher rührt die Autarkie der Werke, die ihn überstanden haben.

Wie geht ein Künstler damit um?

Die Aufgabe besteht darin, dies destruktive Element nicht als Misslingen aufzufassen, sondern sich auf eine penible Suche nach den Gründen zu begeben, daraus zu lernen. Sich von dem, wie es ist, immer wieder eher leiten als belehren zu lassen – das ist eine grundsätzlich kreative Fähigkeit.

Zitate von Karen Müller:

„Man kann sich in der Arbeit mit Porzellan wenige Zufälle erlauben.“

„Technik bringt einen immer weiter.“

Das Fundamt dieser Arbeit ist ein Lehrberuf, zu dilettieren führt nicht weit. Vor aller künstlerischen Gestaltung ist ein professioneller Umgang mit diesem extrem eigengesetzlichen Material gewonnen worden – doch wer vermochte diese Art der Handwerklichkeit und einen freien Umgang mit dem Material schon zu vermitteln? Ein eigenwilliges, beharrliches Arbeiten, der eigene Zugang mußte gefunden werden. Fasziniert aber war Karen Müller immer durch das Ursprüngliche des Materials Kaolin, des gemahlenen Urgesteins, mit Wasser gemischt zu einer gestaltbaren Masse, an der Luft getrocknet, im Feuer gebrannt. Die keramische Arbeit ist für sie der direkte Umgang mit den vier Elementen: ERDE, FEUER, WASSER, LUFT – die als solche natürlich nicht zu beherrschen sind.

„Das Rettende der vier Elemente“

ist das, was zugleich die extreme Herausforderung bildet.

Wie kommt jemand dazu, dies als seine persönliche Herausforderung zu begreifen?

Eine Antwort darauf wird man auf verschiedenen Ebenen finden müssen.

I. Da gibt es zum einen die lebensgeschichtliche Variante:

Der Kern ist ein gegen viele Widerstände gelebtes Leben; zunächst ganz selbstverständlich, dann als persönliche Entscheidung und der immer deutlicher werdenden Erfahrung einer großen inneren Freiheit. Die unglaubliche Vitalität, die in der Aufmerksamkeit, der Wahrnehmung, dem intensiv und extensiv und vor allem aktiv gelebten Körpergefühl ihren Ausdruck findet.

… laufen, springen, schwimmen, reiten, tanzen, essen …

Über die Wahrnehmung steht jeder Mensch in einem „Stoffwechsel“ mit seiner Umgebung. Bei Karen Müller gilt das in einem unglaublich gesteigerten Maße; sie nimmt mehr und intensiver wahr als die meisten von uns und sie ist in ihren jederzeit wachen Aktionen, in ihrem handwerklichen, schöpferischen oder spielerischen Tun, den meisten nicht nur in den frühen Morgenstunden um mehrere Nasenlängen voraus.

Sie lebt eine Selbstverständlichkeit der Tätigkeit.

Damit wird die eigene Wahrnehmung bearbeitet, der Kern eines jeden künstlerischen Tuns: die Wahrnehmung wird geschärft, aktiviert im Bearbeitungsprozess; eine eigentümliche Zugangsweise setzt sich durch; die eigene Handschrift entsteht in einem experimentell gefestigten Schaffensprozess.

II. Und es gibt eine produktionsbezogene Variante.

Den Ausgang nimmt der Prozess der Bearbeitung der Wahrnehmung meist an einem visuellen Eindruck. Am Anfang steht ein Foto (Karen Müller ist ausgebildete Fotografin), vielleicht auch schon ein Bild – oder eine Skizze – oft eine schnelle Skizze. Dieser den Charme des Flüchtigen, der Entwurfsbewegung, nicht zu nehmen heißt, zu wissen, welcher Stellenwert ihr zukommt. Daran zündet dann die zweite Stufe, ein dreidimensionaler, sehr materialbezogener Schaffensprozess. Dessen Thema ist der Körper im Raum, gleich ob Figur oder Schale, und immer ist dieser Körper Ausdruck ihres eigenen Körpergefühls im Raum und zur Porzellanmasse als Partner, Gegenüber, Gegenpol (wie beim Reiten oder Tanzen).

Der innere Zusammenhang zwischen Bild und Figur etwa, die für Karen Müller zusammengehören, ist nicht ein einfacher Reflex zwischen malerischer und figurativer Ausarbeitung, sondern zwischen verschiedenen Bearbeitungszuständen ihrer eigenen Wahrnehmung.

Die Objekte sind merkwürdigerweise raum-gebietend: sie bringen ihre eigenen Dimensionen mit. Der körperliche Kraftakt beim Drehen einer großen Schale, beim Aufbau und Einsetzen in den Ofen einer großen Figur ist enorm und erfordert die trainierte Sportlerin. Es geht um ein sich der Herausforderung Stellen mit allem Einsatz; das ist es, was in dem Objekt immer noch mitschwingt, was uns Betrachter daran fasziniert. Wie erleben wie beispielsweise die Schroffheit im Schlagen auf die großen, festen aber noch formbaren Porzellankörper sich in Spuren ihrer Verletzlichkeit, in Zartheit verwandeln. Es ist die Kraft und Geschmeidigkeit, die große sinnliche Präsenz, die Beharrlichkeit, ja Zähigkeit im Tun, die wir als sinnfällige Schönheit der Körper erleben. – Leidenschaftliches Porzellan –

Der Schaffensprozess ist tätig und meditativ, ein intensives auch mentales Arbeiten. Darin setzen sich sehr tiefe menschliche, individuelle, aber auch kulturell geprägte Schichten der Wahrnehmung und Intuition durch. Hier werden sie künstlerisch zum Thema, nicht intellektuell-akademisch, was aber auf der Ebene des Entwurfs durchaus mitbestimmt. Die Arbeiten lassen sich selbstverständlich nicht auf einen Begriff bringen, wohl aber führen sie uns Urbilder, Urkonstellationen vor Augen, z.B.

Das Sich-auf-den-Weg-Machen

Das nicht vor allem ein sich-Trennen, ein etwas hinter-sich-Lassen ist, sondern der Ur-Moment des Freiheitgewinns. Ein nicht herzuleitender Entschluss, der Aufbruch wird zum mitreißenden Erlebnis für den Betrachter.

Die dahintersteckende Kraftquelle ist die Treue zum eigenen „Bauchgefühl“, der Stoffwechsel über Wahrnehmung und Ausdruck, der Bildungsprozess einer Professionalisierung, Reflexion in Form von Experimenten in anderen Explikationsmedien, z.B. dem Schreiben. Wichtige Hinweise für den richtigen Weg kommen aus der Selbstbeobachtung: Das Einsparen von falsch eingesetzter Energie.

Und wie schafft sie das?

Es gibt bei Karen Müller eine innerliche Disposition, die sie so ausdrückt

„jederzeit aus dem Stand einen Salto machen können“.

Also die Fähigkeit und die Freiheit zu haben, nicht die Welt, aber sich selbst neu zu orientieren. Sie erzählt immer wieder von der Beobachtung als Kind, als

„ein Vogelschwarm in der Luft auf einmal, alle zugleich, die Richtung änderte.“

Darauf ist sie innerlich grundsätzlich vorbereitet. Das ist ihr Annehmen von Herausforderungen, ihr Abarbeiten an Widerständigem, an Sperrigkeit, nicht um das Unmögliche zu versuchen, sondern um den Raum des Möglichen zu gewinnen.

Heute nehmen wir an einem solchen Prozess mit ihr zusammen teil: Es sollen neue Möglichkeiten eröffnet werden.

Sie erinnern sich an die Einladung zum heutigen Tag. Darin war die Rede von einem „Schnitt“, der ansteht, damit es einen Aufbruch in eine neue Richtung gehen kann. Wir sehen heute Arbeiten aus allen Werkphasen Karen Müllers über 35 Jahre hier in ihrer ureigensten Umgebung aufgebaut, in ihrem Zusammenhang untereinander und mit der Künstlerin selbst. Das ist eine wohl nicht zu wiederholende Idealform, diese Arbeiten so zu erleben.

Aber es ist ein sinnvoller Wunsch, diesen Zusammenhang der Arbeiten untereinander weitgehend zu erhalten und möglichst geschlossen in eine große Sammlung zu überführen. Wir, die wir heute diese besondere Erlebnismöglichkeit haben und an dieser außergewöhnlichen Veranstaltung teilnehmen dürfen, sollten uns diesem Ziel mit großer Hingabe und Tatkraft verschreiben.

Gisela Geiger, Leiterin Stadtmuseum Penzberg

11. 09. 2011