Keramikkünstlerin
Karen Müller im Gespräch mit Daniel J. Schreiber

Search

Bilder und Skulpturen von Karen Müller im Schloss Bellevue

Karen Müller hat sich für viele Monate von einigen ihrer schönen Skizzen-Malereien und Plastiken getrennt. Dafür danke ich ihr. Ich freue mich sehr darüber, ihre Arbeiten nun für eine geraume Zeit um mich zu haben und sie auch meinen Gästen zeigen zu können.

Meine Frau und ich kennen und schätzen die Künstlerin seit vielen Jahren. Ich möchte deshalb gerne einige Worte aus Anlass dieser Präsentation ihrer Arbeiten im Schloss Bellevue sagen.

Es gibt Kunstexperten, die behaupten, ein Kunstwerk müsse für sich sprechen. Es komme nur darauf an, wie der Betrachter ein Kunstwerk sehe und was er ihm gegenüber empfinde. Das mag in vielen Fällen zutreffen. Ein solches Zwiegespräch zwischen Kunstwerk und Kunstliebhaber kann für den Kenner ohne Zweifel fruchtbar sein. Ich bin kein Kunstsachverständiger, und ich bin froh darüber, dass Karen Müller meine ganz persönliche

Sicht auf die von ihr geschaffenen Arbeiten in vielen Gesprächen erweitert und bereichert hat.

Das waren keine trockenen Lektionen, das waren lebendige – und oft auch sehr lebhafte – Unterweisungen, die mir tiefe Einblicke in künstlerische Schaffensprozesse gegeben haben.

Wir sehen hier Skulpturen aus Porzellan. Das ist ungewöhnlich. Für Skulpturen werden meistens Materialien verwendet, die einfacher zu handhaben sind. Von Karen Müller habe ich erfahren, welche immensen Herausforderungen mit der Wahl gerade dieses Werkstoffes verbunden sind. Für die Herstellung von Gegenständen aus dem „weißen Gold“ werden heute keine Staatsfinanzen mehr ruiniert, und für den Erwerb kostbarer Porzellanvasen werden auch keine Landeskinder mehr an fremde Armeen verkauft. Die Faszination aber, die von diesem Stoff seit Tausenden von Jahren ausgeht, ist geblieben. Die Bearbeitung des Materials stellt höchste technische Anforderungen an den Künstler. Um so größer ist die Freude, wenn die künstlerischen Vorstellungen nach dem Brand und der Bearbeitung dann die gewünschten – und erhofften – Formen gefunden haben. Ich gestehe es, von Karen Müllers Begeisterung für diese Herausforderungen und von ihrer Freude über das Gelingen habe ich mich anstecken lassen.

„Vor jeden Neubeginn stellen die Götter die Wächter der Angst“

An eine Figurengruppe aus Porzellan, die ich in ihrer Werkstatt sehen konnte, erinnere ich mich besonders gut. Sie heißt <„Wächter“ oder „Vor jeden Neubeginn stellen die Götter die Wächter der Angst“>. Die Oberfläche der Figuren ist mit rätselhaften, archaisch wirkenden Zeichen bedeckt. Die zehn Torsi wirken wie eine undurchdringliche und abweisende Mauer.

Sie lösen zunächst die elementaren Gefühle von Angst und Unsicherheit aus. Jeder hat schon die Erfahrung gemacht, dass neue Herausforderungen, andere Menschen, ungewisse Lebenssituationen und persönliche Krisen zu diesen Gefühlen führen können. Die Künstlerin lässt den Betrachter aber an dieser Stelle nicht stehen. Sie bringt ihn dazu, die Gruppe mit einem genaueren Blick zu erfassen. Der aufmerksame und interessierte Betrachter sieht nun, dass die „Mauer“ vor ihm nur scheinbar undurchlässig ist. Die Figuren lassen Raum zwischen sich. Das, was nach dem ersten Empfinden eine beängstigende und auch furchterregende Barriere ist, weist gleichzeitig auch einen Weg über das Hindernis hinaus. Es ist der Weg der Veränderung, des Weitergehens und des Weiterlernens.

Diese geistige Haltung findet ihre besonders ausdrucksstarke Entsprechung auch in einer Werkgruppe, die wir hier sehen. Es ist schön, dass wir in den Räumen des Schlosses Bellevue die vielen unterschiedlichen Teile der „Acht Tage“ als untrennbar miteinander verbundene Einheit auf uns wirken lassen können – genau so wie die Künstlerin es will. Sie hat hier uralte antike, jüdische und christliche Mythen und Traditionen im wörtlichen Sinne „aufgehoben“.

Dabei belässt sie es aber nicht. Sie führt die Überlieferung weiter und geht mutig über deren Grenzen hinaus. Was ist damit gemeint? In den „Acht Tagen“ ist auch die Zahl „Sieben“ enthalten, die noch heute ihre Magie entfaltet. Wir sind uns dessen nicht immer bewusst. Die Spuren davon finden sich aber in vielen Bereichen unseres Alltags. Wer kennt nicht die sieben Weltwunder, die sieben Todsünden, die sieben Planeten, die sieben freien Künste, das Verliebtsein im „siebten Himmel“ und die Bedeutung dieser Zahl in unseren Märchen, Sagen

und Sprichwörtern? Mit der Schöpfungsgeschichte überliefert uns die Bibel den stärksten Mythos, der bis heute unseren Sieben-Tage-Wochenrhythmus unverrückbar festlegt. Das, was mit der „Sieben“ verknüpft ist, hat – auch wenn es sich wiederholt – etwas Abschließendes, Verschlossenes und nichts über sich Hinausweisendes an sich. Damit findet sich Karen Müller nicht ab. Sie fügt,was nur scheinbar einfach ist, dem siebten Tag einen achten hinzu. Souverän überwinden ihre Boten, „geflügelt oder ungeflügelt“, Mauern, Grenzen, Konventionen und Horizonte. Sie tragen die Botschaft weiter, dass das Ende des siebten Tages nicht das Ende eines lebendigen Prozesses ist oder den Beginn einer Wiederholung des Vergangenen markiert.„Am

achten Tag geht es erst richtig los!“ sagt die Künstlerin dazu. Sie sagt das voller Optimismus, mit Zuversicht und auch mit Vorfreude auf das Kommende und Ungesicherte, das jenseits der festen Gewissheiten vor uns liegt. Bei der Erkundung des unbekannten Terrains helfen uns ihre Boten. Ihnen können wir uns ohne Argwohn anvertrauen.

Karen Müller hat angeregt, ihre plastischen Arbeiten, die hoch gerühmt werden und für die sie vielfach ausgezeichnet worden ist, mit ihren Skizzen-Malereien zu verbinden. Ich freue mich darüber, dass wir dieser Anregung folgen konnten. Wir sehen, dass die Bilder trotz ihres Blicks auf die Skulpturen und trotz ihrer wunderbaren Wechselwirkung mit den plastischen Arbeiten künstlerisch doch ganz eigenständige Werke sind. So wird sichtbar, dass es viele Medien und Materialien sind, in denen und mit denen die Künstlerin meisterhaft und überzeugend den Reichtum ihrer Ausdruckskraft erprobt.

Ich wünsche mir, dass die hier versammelten Bilder und Skulpturen den Besuchern des Schlosses Bellevue und meinen Gästen Freude und Anregung bringen. Karen Müller, der ich noch einmal von Herzen danke, wünsche ich, dass ihr Wissen, ihre Erfahrungen und ihre Kunst auch weiterhin von vielen Menschen wahrgenommen werden.